Radiozettel - das ist eine auf Papier geschriebene Playlist. Playlists sind heute der legitime Nachfolger der Mixtapes. Seit ca. 1990 habe ich Mixtapes mit Lieblingssongs, guten Songs und interessanten Songs verschiedener Stilrichtungen aufgenommen, dadurch mein eigenes Musikradio gestaltet und immer wieder auch Mixe an Freunde verschenkt.
In der 10. Ausgabe vom Radiozettel könnt ihr euch über einige aus dem Radio bekannte Künstler und Hits aus den 80ern, 90ern und von heute freuen, die meine DJ-Kollegen von RadioStone FM wohl als "Gassenhauer" bezeichnen würden, verpackt in ein aktuelles Thema: "Normcore"
Das ist die Bezeichnung für einen aktuellen Modetrend, über den im Februar 2014 eine New Yorker Trendforschungsagentur als Erste berichtet hat. Dieser hat sich daraufhin viral im Internet verbreitet und ist auch von den traditionellen Medien aufgegriffen worden.
Wie viele Modetrends hat auch Normcore eine musikalische Repräsentation. Diese Sendung ist mein individueller Eindruck davon, wie sich die Musik des Normcore anhören könnte.
Aber was soll das nun eigentlich sein? Normcore? Hier der Versuch einer Begriffserklärung:
Modebewusste Menschen (oft auch "Fashionistas" oder "Hipster" genannt) kleiden und stylen sich auf eine spezielle Art und Weise oder hören bestimmte Musikrichtungen, auch um sich von den meisten anderen Menschen abzugrenzen und sich von diesen besser zu unterscheiden.
Nachdem über Jahrzehnte in der Mode (und in der Musik) immer ein Trend den anderen abgelöst hat, und auf diese Weise immer mehr stilistische Ausdrucksformen quasi von der Mode-Industrie "verbraucht" worden sind, wurden die einen Trend charakterisierenden Merkmale immer spezieller und subtiler: zum Beispiel wurden Schuhe eines bestimmten Herstellers zum Must-Have, oder man hörte zum Beispiel die Musik einiger bestimmten Indie-Bands, obwohl sich diese kaum von Schuhen anderer Hersteller oder der Musik von anderen Indie-Bands unterscheiden, die aber bereits wieder passé waren.
Beim Normcore - der Begriff ist abgeleitet von den Wörtern "hardcore" und "normal", verschwinden die Unterschiede zwischen dem Modernen und seinem bisherigen Gegensatz, dem Normalen, nun sogar völlig. Es ist cool, normal zu sein. Denn es ist viel leichter, zu anderen Menschen Kontakt und Zugang zu bekommen, wenn man sich nicht um jeden Preis abgrenzen will. Deshalb kleiden sich die von den New Yorker Trendforschern beobachteten Leute gezielt gewöhnlich, kaufen bei Ketten und günstigen Discountern ein, verzichten auf hippe Labels zugunsten von Komfort und hören Musik, die viele andere auch gut finden, zum Beispiel weil sie sie aus dem Radio oder aus der Disco kennen (seltener: aus der Musikpresse), und finden es richtig cool, alle diese ganz normalen Stilelemente individuell zu kombinieren. Die modebewussten Normcores unterscheiden sich so nicht mehr von der großen Anzahl an tatsächlich ganz normalen Leuten und sie werden nicht mehr als Fashionistas wahrgenommen. Sie grenzen sich dadurch von den Hipstern ab, die sie selbst einmal gewesen sind.
Das mag sich jetzt richtig abgedreht anhören und wie der Gipfel der Ironie wirken. Aber gerade darin besteht die Ambivalenz des Normcore: wenn das Spezielle im Normalen liegt, liegt umgekehrt auch das Normale im Speziellen. Normale Leute werden von den Türstehern in die coolen Clubs reingelassen, weil diese so leicht mit den trendigen Normcores verwechselt werden können.
Ob ihr jetzt bewußt Normcore seid oder euch Trends wie dieser überhaupt nicht interessieren oder ihr Normcore vielleicht auch ganz einfach für einen Scherz, für einen großen, monty-python-esken Schmarrn haltet, ihr mögt aus unterschiedlichsten Beweggründen vielleicht die gleichen Songs, die ihr aus dem Radio kennt. Es braucht auch niemandem mehr peinlich sein, was für die meisten ohnehin noch nie peinlich war, nämlich einen bestimmten Song zu mögen, den andere peinlich finden: "guilty pleasures" gibt es nicht mehr, nur noch "pleasures" - also "Vergnügen".
In diesem Sinne möchte ich euch viel Vergnügen bei dieser Sendung wünschen. Der aktuelle Hype über Normcore aus dem Internet ist für mich Einladung genug, um für euch endlich mal ein paar bekannte Hits abzufeiern und dabei gleichzeitig - so wie die professionellen UKW-Radiosender - eine solche Zusammenstellung von gut bekannten Titeln als unglaublich neu und innovativ zu präsentieren: Hitradio-Sender sind nämlich die Meister des Normcore-Sounds...
Unter anderem könnt ihr euch in dieser Ausgabe vom Radiozettel auf Songs von Green Day, U2, Everlast, Fleetwood Mac, Cee-Lo Green, Robbie Williams, Norah Jones, Robert Plant und John Lennon freuen. Es gibt auch einen Italo-Pop-Klassiker und einen großen Hit des Britpop der 90er sowie für den individuellen Touch auch zwei weniger bekannte Songwriter zu hören. Bei diesem Normcore-Mix ist bestimmt für euch alle etwas dabei!
Wenn euch das neugierig gemacht hat, würde ich mich freuen, wenn ihr auch diesmal wieder einschaltet!